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Freiraumspezifische Wohlfühlfaktoren

Stadtblaue Gesundheit
– Potenzial, Komparation und Diskurs

Hintergrund und Zielsetzung

Die Attraktivität von Siedlungsgründungen an Wasserlagen zeigte sich bisher vor allem in den verkehrstechnischen und wirtschaftlichen Vorteilen. Heute bildet das Wasser nicht nur räumliche, sondern auch thematische Leitlinien der Stadtentwicklung. Viele Kommunen haben erkannt, dass die integrierte Weiterentwicklung und koordinierte Gestaltung beispielsweise der Uferbereiche von Fließgewässern zur Lebendigkeit der Stadt beiträgt. Dem Wasser kommt eine zentrale Bedeutung bei der Gestaltung von Siedlungsräumen zu[1]. Gewässer sind eines der wichtigsten ästhetischen Landschaftselemente[2].

Großer Wert wird inzwischen auch auf die Ästhetik und die Gestaltung urbaner Gewässer unter Berücksichtigung von ökologischen, erlebnispädagogischen und soziokulturellen Aspekten gelegt. Naturnah gestaltete städtische Räume mit Gewässern bieten dem Menschen die Möglichkeit zur Freizeit und Erholung und damit zur Gesundheitsförderung im urbanen Kontext[3].

Ein neuer Ansatz der Humangeographie ist es, städtische Gewässer (Stadtblau) bzw. städtische Räume, die Gewässer beinhalten (stadtblaue Räume) nicht mehr naturalistisch ausgerichtet ausschließlich als objektiv und quasi-natürlich anzunehmen, sondern als kontingent konzeptualisiert (durch Individuen, Gesellschaft); der Analysefokus ist folglich auf der (gesellschaftlichen) „Zusammensetzung“ des Räumlichen[4]. Diskurstheoretische Zugänge, welche die gesellschaftliche Produktion von Bedeutungen, spezifischen Wahrheiten, sozialen und räumlichen Wirklichkeiten und die damit verbundenen Machteffekte entschlüsseln, haben in der Humangeographie an Bedeutung gewonnen[5][6].

Bezüge zwischen Diskursforschung und Gesundheit können vielfach identifiziert werden. Gesundheit, also was allgemein als gesund gilt, ist abhängig von politischen Entscheidungen und wird in einem diskursiven Prozess in der Gesellschaft und der Politik konstituiert. Das deutsche Gesundheitssystem wird von gesellschaftspolitischen Diskursen bestimmt und ausgestaltet. Ein Beispiel einer diskurstheoretischen Fragestellung ist der Zugang zu Dienstleistungen/Medikamenten unabhängig von Einkommen und Status. Bereits heute sind nicht alle medizinisch-technischen Möglichkeiten für alle Menschen gleich zugänglich. Wie dieses Ungleichgewicht zustande kommt, obwohl dies eines der postulierten Ziele der deutschen Gesundheitspolitik ist, kann mithilfe der Diskursanalyse ergründet werden. Neben dem Gesundheitssystem bestehen Kohärenzen von Gesundheit und Diskurs beispielsweise in der Gesundheitsversorgungsstrukturforschung, in der Arzt-Patienten-Beziehung oder der gesundheitsorientierten Umwelt- und Stadtforschung.

Fragestellungen

1. Gewässer und Gesundheit – ökologischer Fokus

  • Wie wirken Gewässer auf die städtische Umgebungstemperatur?
  • Inwieweit können Gewässer Extremwetterlagen, wie „Urban Heat Islands“ (urbane Hitzeinseln), abmildern und damit potentiellem Hitzestress entgegenwirken?

2. Gewässer und Gesundheit – Nutzerfokus

  • Welche Wirkung haben unterschiedliche stadtblaue Räume auf das mentale Wohlbefinden?
  • Lassen sich bezüglich der Ausstattung einzelner Städte mit Stadtblau Unterschiede bzgl. des gesundheitlichen Wohlbefindens der Nutzer feststellen?

3. Gewässer und Gesundheit – Bevölkerungsfokus

  • Werden stadtblaue Räume von der Bevölkerung wahrgenommen, geschätzt und besucht?
  • Besitzen Freiräume mit stadtblauen Elementen eine stärkere Wirkung auf das gesundheitliche Wohlbefinden als andere Freiräume?
  • Inwieweit spielen die Themen Gesundheit und Krankheitsprävention im Diskurs öffentlicher Freiraumplanung eine Rolle?
  • Welche diskursiven Muster lassen sich in einzelnen Planungsprozessen an Stadtblau hinsichtlich gesundheitsrelevanter Fragestellungen erkennen?
  • Sind im Diskurs öffentlicher Freiraumplanung Brüche und/oder Verschiebungen erkennbar?

Methodisches Vorgehen

Der ökologisch-gesundheitliche Fokus soll unter der Anwendung einer umfassenden Literaturanalyse erfolgen. Hierbei werden vorhandene ökologische Daten zu urbanen Gewässern, wie beispielsweise klimatische Faktoren, zusammengetragen und mit gesundheitlichen Wirkungen dieser Faktoren verschnitten. Der gesundheitliche Nutzerfokus wird im Rahmen der Befragung zu freiraumspezifischen Wohlfühlfaktoren und der Bevölkerungsfokus im Rahmen der postalischen Bevölkerungsbefragung bearbeitet. Der Diskurs öffentlicher Freiraumplanung wird mit diskursanalytischen Methoden untersucht. Mögliche methodische Verfahren sind in der Diskursanalyse beispielsweise die Lexikometrie[7] und die codierenden Verfahren[8].

In diesem Sinne werden Protokolle von Ausschuss- und Ratssitzungen der Städte Bielefeld und Gelsenkirchen gesammelt und lexikometrisch explorativ ausgewertet. Anhand von sich im Forschungsverlauf herauskristallisierenden Fallbeispielen werden in der Folge codierende Verfahren angewendet, um genaue Diskurselemente zu identifizieren.

Verwantwortlicher Wissenschaftler:
Dr. Sebastian Völker

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Literatur und ergänzende Informationen:

[1] Kaiser 2005, Kistemann et al. 2010, Sievers 2008, Völker et al. 2012

[2] Kaplan & Kaplan 1989, Whalley 1988

[3] Kistemann et al. 2010, van Kamp et al. 2003

[4] Nonhoff 2007

[5] Gegenstand der Diskursforschung sind über das Individuum hinausgehende Muster des Denkens, Sprechens, Sich-selbst-Begreifens und Handelns sowie deren Prozesse, in denen bestimmte Vorstellungen und Handlungslogiken hergestellt und immer wieder verändert werden. Diskurs bezeichnet also die Verbindung von symbolischen Praktiken (Sprach- und Zeichengebrauch), materiellen Gegebenheiten und sozialen Institutionen (Foucault 1973 [1969]).

[6] Glasze & Mattissek 2009

[7] Lexikometrische Verfahren operationalisieren diskurstheoretische Ansätze, indem sie die Artikulation von Elementen in Diskursen empirisch als regelmäßige Verknüpfungen von Begriffen in umfangreichen digitalen Textkorpora fassen. Dieses Vorgehen bietet die Chance, diskursive Strukturen sowie deren Veränderung induktiv herauszuarbeiten.

[8] Codierende Verfahren gehören auch in der Diskursforschung zu den wichtigsten Analyse- und Auswertungsverfahren. Beispielsweise kann bei argumentativen Texten das Konzept der semantischen Strickleiter angewandt werden, um Differenzen herausarbeiten zu können. Demnach werden zunächst mittels der Isotopie von Greimas alle Begriffe, die sich auf ein Textelement beziehen, herausgearbeitet. Anschließend wird das Toulmin-Schema angewandt, das das implizit Gesagte entschlüsselt (Günzel et al. 2012).